„Eine Morddrohung, das geht eindeutig zu weit“

Gründau ist wohl das, was man eine Idylle nennen könnte. „Die Gemeinde im Grünen“, ein Zusammenschluss von ehemals sieben Dörfern zwischen Frankfurt am Main und Fulda, bietet rund 15.000 Menschen eine Heimat. Sie haben die Wahl zwischen 80 Vereinen und Verbänden, es gibt einen Golfplatz, ein Kegelheim, ein Mehrgenerationenhaus – und für sehr Sportliche das 60-Kilometer-Wanderevent „Keine Gnade für die Wade“. „Die Welt ist hier grundsätzlich ganz in Ordnung“, sagt der parteilose Bürgermeister Gerald Helfrich.

Und doch gibt es Probleme: eine Kompostierungsanlage, die eine Brutstätte für Myriaden von Fliegen ist. Geplante neue Windkraftanlagen, die längst nicht jedem gefallen. Und vor allem Trinkwasser, das seit längerer Zeit gechlort in den Küchen und Badezimmern der Gründauer ankommt. Letzteres hat dazu geführt, dass Gerald Helfrich sogar mit dem Tode bedroht wurde. In einem Internet-Forum schrieb jemand: „Lasst uns das Arschloch … zuhause besuchen & Ihn ersaufen“.

Der Hintergrund: Seit etwa zwei Jahren muss das Trinkwasser in Gründau fast durchgehend mit Chlor versetzt werden. Grund ist ein hartnäckiger Befall mit Pseudomonas aeroginosa, einem Bakterium, das besonders bei immungeschwächten Menschen schwere entzündliche Erkrankungen der Lunge und anderer Organe hervorrufen kann. Wie der Keim in das Trinkwasser gekommen ist, war lange Zeit völlig unklar.

„Klar, man muss Gegenwind ertragen in der Politik“, sagt der Bürgermeister, „aber eine Morddrohung, das geht eindeutig zu weit.“

Den Unmut über die Chlorierung findet Gerald Helfrich verständlich, zumal das Trinkwasser entsprechend riecht und auch schmeckt. Vor einiger Zeit hatte sich jedoch eine Facebook-Gruppe zu dem Trinkwasser-Problem organisiert – und jemand aus dieser Gruppe hatte den Post abgesetzt. „Klar, man muss Gegenwind ertragen in der Politik“, sagt der Bürgermeister, „aber eine Morddrohung, das geht eindeutig zu weit.“ Daher meldete er den Aufruf auf dem Portal „HessenGegenHetze“, am Nachmittag des 27. Februar 2023.

Helfrich machte dann die Erfahrung, dass geregelte Abläufe und Geschwindigkeit sich nicht ausschließen müssen: Bereits am Vormittag des nächsten Tages war die Meldung an die Hessische Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (ZIT), an das Hessische LKA und an das Bundeskriminalamt (BKA) weitergeleitet worden. Wiederum nur einen Tag später ermittelte das Landeskriminalamt Hessen, wer die Morddrohung online gestellt hatte: Die Frau hatte unter ihrem Klarnamen gepostet, ihre Adresse konnte über das Einwohnermeldeamt ermittelt werden

Zwei Wochen später bekam sie Besuch von der Polizei, ein Anhörungsschreiben überreicht und eine Gefährderansprache. „Wir legen viel Wert darauf, dass eine Reaktion schnell erfolgt und die Betreffenden sich nicht anonym hinter ihrer Tastatur verstecken können“, sagt Eva Maria Baldauf, die ermittelnde Frankfurter Oberstaatsanwältin. „Das soll den Menschen, die uns Bedrohungen melden, sagen: Ihr seid uns wichtig.“

„Ich hatte zwar keine Angst abends auf der Straße, aber man sollte über derartige Drohungen nicht einfach hinwegsehen.“

In der zweiten Maiwoche wurde schließlich ein Strafbefehl in Höhe von 50 Tagessätzen erlassen. „Ich war absolut positiv überrascht, wie rasch die Ermittlungen abgelaufen sind“, sagt Gerald Helfrich. „Ich hatte zwar keine Angst abends auf der Straße, aber man sollte über derartige Drohungen nicht einfach hinwegsehen.“

Axel Schröder, Leiter der Meldestelle „HessenGegenHetze“, die im „Cyper Competence Center“ de Hessischen Innenministeriums angesiedelt ist, sagt: „Das ist unser Anspruch: schnell reagieren und ermitteln, ob eine konkrete Gefährdung besteht.“ Laufen dort Online-Meldungen ein, schaltet sich Eva Maria Baldauf ein. Die Oberstaatsanwältin entscheidet, ob der jeweilige Fall strafrechtlich relevant ist, informiert die Meldenden und verteilt schließlich in ihrem Team die Ermittlungsarbeit.

Seit rund drei Jahren gibt es das Online-Portal „HessenGegenHetze“, fast 37.000 Meldungen sind bislang eingegangen. Davon waren 8000 strafrechtlich relevant. In 4800 Fällen gelang es, Tatverdächtige zu identifizieren. Davon kamen 320 aus Hessen, was zu 90 Verurteilungen geführt hat. Das Portal trägt zwar den Begriff Hessen im Namen, aber die Meldungen, die dort auflaufen, haben nur in jedem fünften Fall einen hessischen Bezug. Denn melden kann jeder, und meist ist ein regionaler Bezug nicht ohne weiteres ersichtlich.

Kommt es auf einer solchen Plattform nicht oft zu Denunziation, zumal es auch anonym genutzt werden kann? Nein, sagt die Oberstaatsanwältin Eva Maria Baldauf: Die Meldenden müssten schließlich einen konkreten Beleg erbringen, etwa einen rechtssicheren Screenshot eines Posts (siehe Kasten). Dennoch hat die Zahl der Meldungen kontinuierlich zugenommen.

„In rund der Hälfte aller strafrechtlich relevanten Fälle gelingt uns eine Identifizierung, das ist eine deutlich höhere Quote als etwa bei Einbruchsdelikten.“

Schwierig ist es Menschen auf die Spur zu kommen, die etwa auf Facebook unter Fantasienamen jemanden bedrohen. Um die Klarnamen herauszufinden, sind die Ermittler auf die Hilfe des Internetkonzerns Meta angewiesen, zu dem Facebook gehört. Der hat seinen Sitz jedoch im irischen Dublin und ist nicht auskunftspflichtig. Immerhin hat dessen Antworthäufigkeit in letzter Zeit zugenommen, wie Eva Maria Baldauf berichtet.

Anders beim Messaging-Dienst Telegram: Der Betreiber mit Sitz in Dubai gibt grundsätzlich keine Daten von Nutzern heraus. Er hat nicht mal eine Mail-Adresse, an die sich Ermittler wenden können. In einigen Fällen können jedoch die IT-Forensiker der ZIT erfolgreich nach den Urhebern der Posts recherchieren.

„In rund der Hälfte aller strafrechtlich relevanten Fälle gelingt uns eine Identifizierung“, sagt Eva-Maria Baldauf, „das ist eine deutlich höhere Quote als etwa bei Einbruchsdelikten.“ Und was war das bislang schärfte Urteil? 120 Tagessätze für einen Post bezogen auf den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Der Urheber ist jetzt vorbestraft, was für Delikte ab 91 Tagessätzen der Fall ist.

Bürgermeister Gerald Helfrich war sich zunächst gar nicht sicher, ob er den Mordaufruf gegen sich tatsächlich melden sollte: „Aber es war allein deswegen wichtig, um jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Gemeindeverwaltung zu zeigen, das man sich nicht alles gefallen lassen muss.“

Vor kurzem scheint zumindest die Ursache für den Keimbefall des Trinkwassers gefunden worden sein. Eine Dichtung eines Hydranten an einer Hauptleitung ist offenbar von Pseudomonaden befallen. Er soll nun in Kürze ausgetauscht werden. Währenddessen muss das Trinkwasser weiterhin gechlort werden. Und der Verein „Windjammer Gründau“ macht weiter mobil gegen neue Windkraftanlagen (die angeblich „tickende Zeitbomben“ seien) im Gründauer Wald.

Es ist also noch reichlich Gegenwind zu erwarten für den Bürgermeister der „Gemeinde im Grünen“. Aber dass Morddrohungen kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sind, sollte wohl inzwischen jeder begriffen haben.

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