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Interview

"Hass und Rassismus haben in meiner Kommune keinen Platz"

Reem Alabali-Radovan ist Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Mit dem neuen Projekt "Kommunale Allianzen und Strategien gegen Rassismus und Hass" will sie kommunalen Entscheidungsträger/innen helfen, ihre Resilienz zu stärken und neue Strukturen aufzubauen.

Bildnachweise: Sascha Krautz, Canva 

Frau Alabali-Radovan, mit „KommA“ bringen Sie ein neues Projekt zur Stärkung von kommunalen Entscheidungsträger/innen auf den Weg. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich möchte ein Zeichen setzen in Zeiten, in denen die Stimmung im Land spürbar rauer geworden ist. Es ist unerträglich, dass Kommunalpolitiker/innen in unserem Land täglich angefeindet werden. 2.501 Straftaten gab es 2021 gegen Amts- und Mandatsträger/innen. Wer bedroht oder angegriffen wird, weil er/sie sich für eine solidarische, weltoffene Gesellschaft einsetzt, der braucht beste Unterstützung – ob im Gemeinderat, im Bezirksamt oder im Landkreistag. Das ist noch immer keine Selbstverständlichkeit. Das will ich ändern, darum fördere ich das Projekt. Bis 2025 wollen wir in zehn Modellkommunen Unterstützung für kommunale Entscheidungsträger/innen anbieten und weiterentwickeln. Dazu gehört, dass wir Allianzen gegen Rassismus und Hass aufbauen und antirassistische Strategiekonzepte für Kommunen entwickeln.

Das Engagement gegen Rassismus hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Welchen besonderen Beitrag liefert das Projekt „KommA“?

Alle kommunalen Entscheidungsträger/innen sollen wissen, wo sie Unterstützung finden und was sie bei Anfeindungen tun können. Wir wollen ihnen helfen, ihre Resilienz gegen Hass zu stärken. Wie das am besten gelingt, erarbeiten wir im Modellprojekt. Außerdem schaffen wir eine bundesweite Plattform gegen Rassismus und Hass, denn wir wollen das Wissen aus dem Projekt und gute Praxis in ganz Deutschland teilen. Mir ist vor allem wichtig, dass wir nachhaltige Allianzen und Strukturen aufbauen, die nicht nur am Engagement von Einzelnen hängen, sondern alle mitnehmen bei der Unterstützung von Betroffenen und im Einsatz gegen Rassismus und Hass.

Wie wird das Projekt „KommA“ konkret in den Kommunen umgesetzt?

Bundesweit wird es zehn Modellkommunen geben, Bewerbungsschluss ist der 28. Februar 2023. In jeder Kommune führen wir drei Module durch. Erstens vernetzen wir die Verwaltungen untereinander, auch mit Beratungs- und Hilfestellen sowie Sicherheitsbehörden. Zweitens schauen wir uns die Strukturen jeder einzelnen Kommune an: Wer macht in welchen Bereichen Erfahrung mit Rassismus? Was kann umgesetzt werden, damit Mitarbeiter/innen besser geschützt sind? Welche Strategie ist für die einzelne Kommune am besten? Drittens bieten wir Coachings für Führungskräfte und deren Teams in ausgewählten Kommunen an. 

"Wenn gemeinsame Verantwortung gelebt wird und alle wissen, was im Ernstfall zu tun ist, entlastet das sowohl kommunale Spitzen als auch Mitarbeitende."

Das ist ja bereits ein volles Programm. Warum also auch noch ein Netzwerk der Kommunen untereinander?

Ganz einfach: Weil es rund 11.000 Städte und Gemeinden in Deutschland gibt. Wir wollen nachhaltige Allianzen aufbauen, die auch nach dem Projektende fortbestehen. Und wir wollen deutschlandweit unsere Erfahrungen teilen, damit wir uns gegenseitig unterstützen.

Das klingt nach viel Arbeit für Kommunalverwaltungen, die schon jetzt vielerorts am Limit sind…

Wie viel in den Kommunen geleistet wird, das sehe ich auch in meinem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Auswirkungen haben noch einmal zusätzliche Aufgaben geschaffen, etwa bei der Unterbringung Geflüchteter. Umso wichtiger ist, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Wenn gemeinsame Verantwortung gelebt wird und alle wissen, was im Ernstfall zu tun ist, entlastet das sowohl kommunale Spitzen als auch Mitarbeitende. Das gilt auch für Anfeindungen und den Umgang mit Rassismus. Natürlich ist unser Ziel, dass das Mitmachen bei KommA ganz einfach ist: Kein komplizierter Bewerbungsprozess, wenig Zeitaufwand während des Projektes, kein finanzieller Aufwand und professionelle Begleitung der Verwaltungen vor Ort durch das IMAP-Institut.

Wie können wir im Alltag auf hasserfüllte und rassistische Bemerkungen reagieren?

Wichtig ist mir, dass jede/r einen Beitrag leisten kann für unser gutes Miteinander. Jede/r einzelne macht den Unterschied. Also zeigen wir Haltung, wenn ein rassistischer Witz am Stammtisch gerissen wird. Bieten wir Hilfe an, wenn Menschen attackiert werden. Und setzen wir gemeinsam ein klares Zeichen: Hass, Hetze und Rassismus haben in meiner Stadt, in meiner Gemeinde, in meinem Landkreis nichts zu suchen. Wir sind mehr und gemeinsam sind wir die demokratische Gesellschaft. Deutschland kann das, Deutschland macht das, Deutschland hält zusammen.

 

 

Reem Alabali-Radovan ist Staatsministerin beim Bundeskanzler und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, seit Februar 2022 auch Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Zuvor arbeitete sie ab 2015 beim Landesamt für innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern, anschließend leitete sie ab 2018 das Büro der Integrationsbeauftragten der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und war ab 2020 selbst Integrationsbeauftragte des Bundeslandes. Alabali-Radovan (SPD) ist seit 2021 direkt gewähltes Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Schwerin – Ludwigslust-Parchim I – Nordwestmecklenburg. Sie ist in Moskau geboren, hat in Schwerin Abitur gemacht und an der Freien Universität Berlin ihr Studium der Politikwissenschaft abgeschlossen.