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Interview

Wachstumsmarkt Cybercrime

Mehr und mehr Bundesländer richten zentrale Ansprechstellen für Cybercrime ein, um Verstöße von herausgehobener Bedeutung zu verfolgen. Vorreiter ist Nordrhein-Westfalen, wo das Team von Oberstaatsanwalt Markus Hartmann von Wirtschaftskriminalität bis zu politisch motivierter Hassrede in Internetforen vieles im Blick hat.

Herr Hartmann, Sie leiten als Oberstaatsanwalt seit 2016 die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen. Wie entstand die Idee zu dieser spezialisierten Staatsanwaltschaft und wie hat sich die Arbeit über die Jahre entwickelt?

Ohne Frage ist Cybercrime ein Wachstumsmarkt. Kriminalität verlagert sich von der analogen in die digitale Welt. Gleichzeitig sehen wir, dass Cyberangriffe sich nicht nur in ihrer Quantität, sondern auch in ihrer Qualität steigern. Wenn sich Kriminelle hier immer besser aufstellen, müssen Strafverfolger das auch tun. Die Schaffung einer Cyber-Zentralstelle für Nordrhein-Westfalen ist sicherlich auch vor diesem Hintergrund zu sehen und insofern konsequent. Mittlerweile sind bei der ZAC NRW 28 Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälte tätig und auch das Aufgabenfeld ist stetig gewachsen. Noch immer machen Ermittlungen im Darknet oder auch Cyber-Angriffe auf Unternehmen oder Einrichtungen der kritischen Infrastruktur einen Großteil der täglichen Arbeit aus. Hinzu kommen aber auch neue Zuständigkeiten wie etwa der Bereich des netzkonnexen Kindesmissbrauchs oder aber die Bekämpfung der digitalen Hasskriminalität. 

Haben sich nach Ihrer Wahrnehmung die Fälle von Straftaten gegen Mandatsträger in quantitativer oder qualitativer Hinsicht in den letzten Jahren verändert?

Eine valide Einschätzung des Gesamtphänomens auf Grundlage unserer Verfahrenszahlen ist schwer. Aus der bisherigen Ermittlungspraxis kann man einen deutlichen Schwerpunkt der Taten im rechten politischen Spektrum ableiten. Allerdings ist das Dunkelfeld im Bereich der digitalen Hasskriminalität  enorm groß. Wir sehen als Strafverfolger nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Umfangs der Straftaten. Das Phänomen ist aber in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit und auch von Polizei und Justiz gerückt. Wo emotional diskutiert wird, werden gerade auch online häufig auch die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Grenzen klar zu definieren und den staatlichen Sanktionsanspruch bei Überschreitung zur Geltung zu bringen. Es ist eben nicht damit getan darauf zu verweisen, dass online wie offline die gleichen Regeln gelten. 

„Es kommt darauf an, dass wir die geltenden Regeln online wie offline auch konsequent zur Durchsetzung bringen.“

Können sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die in digitaler Form, zum Beispiel per Mail oder anonym in sozialen Medien, bedroht und attackiert werden, direkt an die ZAC NRW wenden?

Das ist – sofern die Straftat einen Tatort in Nordrhein-Westfalen hat – grundsätzlich möglich und wird auch gemacht. Bei einer akuten Bedrohungslage ist jedoch oftmals die Anzeige bei der Polizei ratsam, um gegebenenfalls unmittelbar gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen einzuleiten. Eine Übernahme des Verfahrens durch die ZAC NRW kann auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Als Cyber-Zentralstelle können wir dann insbesondere unsere Expertise bei der Identifizierung solcher Beschuldigter einbringen, welche sich durch die vermeintliche Anonymität des Internets vor Strafverfolgung sicher fühlen. 

Gibt es vergleichbare spezialisierte Staatsanwaltschaften auch in anderen Bundesländern, und stehen Sie miteinander im Erfahrungsaustausch?

Wir machen zunehmend die Erfahrung, dass es auch in anderen Bundesländern mehr und mehr auf dieses Themenfeld spezialisierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gibt. In vielen Bundesländern wurde dabei zwischenzeitlich auch das in Nordrhein-Westfalen entwickelte Projekt „Verfolgen statt nur Löschen“ übernommen. Wir stehen mit den Kolleginnen und Kollegen in einem engen und regelmäßigen Austausch, um unsere Erfahrungen weiterzugeben und neue Anregungen zu erhalten. Digitale Hasskriminalität hält sich nicht an Landesgrenzen. Für erfolgreiche Strafverfolgung in diesem Bereich ist daher Kooperation und ein ständiger Austausch über Landesgrenzen hinweg essentiell. 

Gehen Sie davon aus, dass das gerade in Kraft getretene Gesetzpaket der Bundesregierung gegen Hasskriminalität Ihre Arbeit erleichtern wird?

Wir sind zuversichtlich, werden aber auch die damit verbundenen Herausforderungen meistern müssen. Die Verpflichtung von Anbietern sozialer Plattformen zur Meldung von rechtswidrigen Inhalten bei der BKA-Zentralstelle bietet für uns ganz neue Ermittlungsansätze. Gleichzeitig werden die Fallzahlen ganz erheblich ansteigen und das bisherige Ausmaß um ein Vielfaches übertreffen. Hier müssen wir uns angemessen aufstellen. Derzeit sind wir in die Modellierung der konkreten Arbeitsabläufe mit dem BKA eingebunden. Strafverfolgungsmaßnahmen haben immer auch den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen. Mit Blick auf die Meinungsfreiheit und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist die Herausforderung, eine effektive Strafverfolgung möglichst grundrechtsschonend auszugestalten.    

Der Aufholbedarf für Digitalisierung in Deutschland ist durch Corona in vielen Arbeits- und Lebensbereichen deutlich geworden. Hatte die Pandemie auch für die ZAC NRW Konsequenzen, vielleicht sogar einen Beschleunigungseffekt für manche Pläne, die vorher schwerer umsetzbar gewesen wären?

Wir waren als Cyber-Zentralstelle technisch bereits sehr gut aufgestellt und konnten viele Tätigkeiten recht unproblematisch in das Home-Office verlagern. Insbesondere wurde bei der ZAC NRW bereits vor einiger Zeit eine eigene Cloud-Plattform – die sogenannte ZACBOX – in Betrieb genommen, welche unter anderem einen sicheren Datentransfer sowie Videokonferenzen ermöglicht. Die Pandemiesituation hat die Notwendigkeit und den Nutzen solcher Entwicklungen noch einmal verdeutlicht und vorangetrieben. 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten - an „die Politik“, wie es oft heißt, oder an die Zivilgesellschaft - wie würde er lauten, um die Gruppe der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker besser zu unterstützen?

Tatsächlich sind wir in der glücklichen Situation, dass die Politik unsere fachlichen Anregungen oftmals schnell gehört und aufgegriffen hat. Besonders im Bereich der digitalen Hasskriminalität bezüglich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern wäre unser Wunsch eine realistische Erwartungshaltung an die Strafverfolgung. Wir können einen wichtigen Beitrag leisten, sind bereit, dies zu tun, und können hier in vielen Bereichen sicherlich auch noch mehr unternehmen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Gleichzeitig gilt es zu akzeptieren, dass Strafverfolgung allein das Problem nicht lösen kann und wird. Hier müssen viele Akteure einen Beitrag leisten. Wir müssen dabei eng und konstruktiv zusammenarbeiten, den Austausch pflegen, gemeinsam Optimierungsbedarfe identifizieren und entsprechende Lösungsansätze entwickeln. Insgesamt sehe ich uns da aber auf einem guten Weg.

Mehr zur Person

Markus Hartmann ist Oberstaatsanwalt als Hauptabteilungsleiter bei der Staatsanwaltschaft Köln und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Hartmann ist seit 2006 Staatsanwalt. Nach Stationen in der allgemeinen und in der Abteilung für Wirtschaftsstrafsachen, in der er Korruptionsdelikte bearbeitete, ist er seit 2008 für Cybercrime und Delikte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik zuständig. Hartmann war Gründungsdezernent der ZAC Köln (Vorläufer der ZAC NRW von 2014-2016) und ist seit Einrichtung der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen im April 2016 deren Leiter.