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Eigenwillig in der Oberpfalz

In der bayerischen Kreisstadt Neustadt an der Waldnaab hat sich Bürgermeister Sebastian Dippold mit „Querdenkern“ angelegt – und trotz eigener harscher Worte viel Rückhalt erfahren. Über die Folgen einer kommunikativen Gratwanderung.

Kaum hatte sich Sebastian Dippold gegen die „Querdenker“-Szene positioniert, trafen die ersten Hassnachrichten ein – vor allem per Mail und über die sozialen Netzwerke. Es hagelte Angriffe, Beleidigungen; jemand drohte gar damit, ihn zu „füsilieren“, also standrechtlich zu erschießen. „Natürlich nimmt man das ernst“, sagt Dippold heute. Andererseits seien die Drohungen auch „das Beste“ gewesen, „was passieren konnte“: Seine Kontrahenten demaskierten sich selbst, und die ganze Gemeinde musste Position beziehen.

Bürgermeister Sebastian Dippold, 34 Jahre alt, SPD, geht im bayerischen Neustadt an der Waldnaab einen Weg, den manche Kolleginnen und Kollegen wohl eigenwillig nennen würden. Inwiefern dieser Weg nachahmenswert ist, möchte er nicht beurteilen. Aber: Er setzt auf klare Kante. Im Mai 2020 trat Dippold sein Amt in der Oberpfalz an und legte sich bereits kurz darauf mit „Querdenkern“ und der rechten Szene an.  

Neustadt ist mit 5700 Einwohnerinnen und Einwohnern Bayerns kleinste Kreisstadt. Hier kennt fast jeder jeden, bei Ärger kann man sich kaum verstecken. Auch Dippold war klar, was kommen würde, als im Oktober 2020 im nahen Weiden „Querdenker“ samt Fackelzug demonstrieren wollten und er deshalb ein Video auf Facebook hochlud: Die „Querdenker“ bezeichnet er darin als „Gesocks“, unterwandert von Nazis. Wer mit solchen „Affen“ mitgehe, wisse genau, wo er stehe. In der Folge ging Dippold nur noch mit Pfefferspray nach draußen, sein Haus wurde von Polizeistreifen überwacht. Heute sagt Dippold, dass der Text vielleicht etwas Schliff hätte vertragen können. Aber drastische Worte seien nötig gewesen, um auf diese demokratiezersetzende Bewegung aufmerksam zu machen. Mit überlegtem Politikersprech dringe man einfach nicht durch.

 

Nähe ist nirgendwo wichtiger als auf dem Land

Seit Jahren häufen sich Hass und Hetze gegen Bürgermeister/innen, Ratsmitglieder und Beschäftigte in der Verwaltung. Laut einer Umfrage des ARD-Magazins „Report München“ in Kooperation mit der Zeitschrift „Kommunal“ aus dem Frühjahr 2020 mussten 70 Prozent aus dieser Gruppe schon einmal Beleidigungen, Bedrohungen oder gar tätliche Angriffe ertragen. Fast jede/r zehnte der befragten Bürgermeister/innen wollte deshalb bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Besonders eklatant ist das Problem auf dem Land, weil dort alles überschaubar ist. Hier ist es besonders wichtig, mit den Bürger/innen im Gespräch zu bleiben.

 

 

Dippold tritt anders auf, als manche es von einem Bürgermeister erwarten. Er hat Demos gegen die AfD organisiert, moderiert im Radio und geht freitags bisweilen im Kapuzenpulli ins Rathaus. Und der markante Vollbart – der vor Kurzem der in Bayern geltenden FFP2-Maskenpflicht weichen musste – erinnerte mehr an einen Hipster als an einen honorigen Lokalpolitiker. Seine sozialen Kanäle bespielt er regelmäßig, zu Fasching zeigte er sich dort in einem Anzug mit Super-Mario-Motiven – ein Digital Native im Rathaus.

Facebook ist für Dippold ein Werkzeug – und ein Übel; ein Kanal, der Hass und Hetze fördert. Die sichtbarste Konsequenz seines Videos waren mehrere „Querdenker“-Demos vor dem Neustädter Rathaus. Zur ersten Veranstaltung kamen rund 20 Menschen, die Dippold aufforderten, herauszukommen und zurückzutreten. Bei den übrigen waren „mehr Zaungäste“ als Demonstrierende anwesend, vermerkte das Portal „Onetz“. Dippold verweigerte stets das Gespräch. „Er kommt nicht“, beschwerte sich eine Frau in eine Kamera des Bayerischen Rundfunks. Für eine der Demos, merkt ein örtlicher Vereinsvorsitzender belustigt am Telefon an, sei das auch gar nicht möglich gewesen: Diese habe an einem lokalen Feiertag stattgefunden, an dem das Rathaus geschlossen sei. „Wir werden uns immer hinter die Stadtverwaltung stellen“, ansonsten sei sein Verein aber politisch neutral.

„Ich habe Respekt vor unserem Bürgermeister“, sagte eine Frau, „bleib so!“

Nicht alle in Neustadt waren über Dippolds Wortwahl glücklich. Der Rückhalt war trotzdem gewaltig. Die Bayern-SPD schickte ihren Generalsekretär. Die Gewerkschaft IG Metall brachte ein Schild mit der Aufschrift „Toleranz“ ins Rathaus. Das Oberpfälzer Bündnis für Toleranz und Menschenrechte (OBTM) entwarf ein #TeamDippi-Banner, das sich User auf Facebook anheften konnten. In den Kommentarspalten äußerten viele ihre Solidarität.  „Ich habe großen Respekt vor unserem Bürgermeister“, schrieb zum Beispiel eine Frau, „bleib so.“

Kitt der Kommunalgesellschaft

Auch der Stadtrat stellte sich in einer gemeinsamen Erklärung hinter Dippold. „Wir halten diese gegen die Demokratie gerichteten Vorfälle für nicht tragbar und nicht hinnehmbar“, heißt es darin. „Für mich war die ‚Querdenker‘-Demo in Weiden ein rotes Tuch“, erzählt Gerhard Steiner, Sprecher der Freien-Wähler-Fraktion. Er war bei der Wahl Dippolds Gegenkandidat und später schwer an Covid-19 erkrankt. Er hätte zwar für das Video andere Worte gewählt, sagt er, aber „höflich-harmlos“ schaffe in dieser Sache keine Aufmerksamkeit. Ein „sehr gutes Zeichen“ nennt er dagegen, wie Neustadt zusammengehalten habe. „Das ist das A und O. Nur so kann man was bewirken.“

Es scheint, als würde die Corona-Krise Hetze und Gewalt befeuern. So wurde in Schöneiche bei Berlin ein Mitarbeiter des Ordnungsamts angegriffen, weil er einen Passanten auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aufmerksam gemacht hatte. Im thüringischen Floh-Seligenthal statteten 20 Menschen dem Bürgermeister einen „Besuch“ ab, um mit ihm über Corona-Maßnahmen zu diskutieren; dieser fühlte sich bedroht und rief die Polizei. Die Liste ließe sich fortsetzen. 

Parteiübergreifender Rückhalt

„Die Eskalationsstufe steigt“, bestätigt Hans Lauterbach, Sprecher von OBTM. Den Fall Neustadt kennt er gut, Dippold habe das Video schließlich auf Bitten des Bündnisses aufgenommen, das damals in Weiden die Gegendemo organisierte. Der Verein hat sich 2016 im Zuge der Zuwanderung von Flüchtlingen gegründet, mit Beginn der Corona-Zeit suchte er explizit den Anschluss an die Kommunalpolitik. Man wolle eine „Allianz der Vernünftigen“ bilden, sagt Lauterbach. Dazu gehöre neben Aufklärung über das Corona-Virus auch Solidarität. Es sei wichtig, dass die Zivilgesellschaft Kommunalpolitiker bei Hass und Hetze mehr unterstütze – und umgekehrt. Lauterbach spricht aus eigener Erfahrung. Auch er wurde bedroht, auch er erfuhr viel Zuspruch. „Der tut natürlich gut“, sagt er, „vor allem, wenn er parteiübergreifend kommt.“  

Als es Ende 2020 in Neustadt unwirtlicher wurde und der Winter Einzug hielt, verlief sich der Protest gegen Dippold langsam. Und jetzt? Im Wahljahr 2021? Ist eigentlich alles wie vorher, sagt er, nur sein Name sei über die Kreisgrenzen hinaus ein wenig bekannter. Aber ist das etwas Schlechtes? Dippold sagt, er würde sich durchaus mehr Kommunalpolitiker/innen wünschen, die öffentlich eine „rote Linie“ ziehen und zeigen, dass demokratische Grundwerte nicht verhandelbar sind. Seine Kolleginnen und Kollegen explizit dazu auffordern, das möchte Dippold aber doch nicht. „Wer sich so klar positioniert, bietet Angriffsfläche.“ Das müsse jeder für sich selbst wissen. Was er indes empfiehlt: alle erlittenen Angriffe öffentlich zu machen, um Bewusstsein dafür zu schaffen. „Man darf nicht klein beigeben“, sagt Dippold. Allerdings auch: „Das sagt sich so leicht.“

 

Text: Maximilian Gerl